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Sternekoch Thomas Bühner : Unser Mann in Taipeh

Spitzenkoch Thomas Bühner sorgte einst in Osnabrück für kulinarischen Hochgenuss, jetzt bringt er ihn nach Fernost: Sein neues Restaurant befindet sich in einem Luxus-Einkaufszentrum in Taipeh.

Im Nordosten von Taipeh liegt die Jingye Road. Shoppingcenter, Ho­tels und Restaurants säumen die breite Straße, am nördlichen Ende liegt ein großer Kinokomplex, hinter dem ein Riesenrad emporragt. Knapp 100 Me­ter entfernt befindet sich die Noke Mall, ein neues Luxus-Einkaufszentrum. Hier empfängt seit Ende April Thomas Bühner seine Gäste. Ein Sternekoch in einer Mall? „Viele Deutsche und Europäer finden das ungewöhnlich. In Amerika, Asien und im Nahen Osten aber ist das total üblich“, sagt Bühner. Auch aus ganz pragmatischen Gründen; es sei etwa immer für Parkplätze gesorgt. Hochklassige Adressen wie die Noke Mall locken zudem eine anspruchsvolle Klientel. Aus Bühners Sicht verläuft dieser Effekt aber andersherum: „Wir sind das Zugpferd und sorgen für internationale Aufmerksamkeit, wie sie die Mall sonst nicht bekäme.“


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Dank Bühners unaufgeregt-westfälischer Art und seiner leisen Stimme klingt ein solcher, durchaus selbstbewusster Satz wie die nüchterne Feststellung eines Menschen, der es nicht nötig hat, nach Aufmerksamkeit zu schreien. Auch in der Küche schreit Bühner wenig. Das bejubelte auf Social Media Anfang des Jahres ein großes Fernsehpublikum, als er in Tim Mälzers „Kitchen Impossible“ auftrat. Neben seiner Kochkunst, die ihm einst drei Sterne einbrachte, begeistert Bühner mit einem Mix aus souveräner Gelassenheit, trockenem Humor und fast entwaffnender Bescheidenheit. Als Mälzer-Kontrahent, Gastkoch, Redner und Berater von Restaurants weltweit. Und als Namensgeber des „La Vie by Thomas Bühner“ in Taiwans Hauptstadt.

Das Konzept hat der 61-Jährige mit seinem hiesigen Geschäftspartner Ray Wu erarbeitet, die Karte mit seinem aus Hongkong stammenden Küchenchef Xavier Yeung entwickelt. Das Personal schult Bühner persönlich vor Ort – und gibt dem Ganzen nicht nur seinen eigenen, sondern auch jenen Namen, mit dem er international bekannt wurde.

Sein Dreisternerestaurant „La Vie“ in Osnabrück feierte zwölf Jahre lang Erfolge – bis zur überraschenden Schließung am 15. Juli 2018. Bühners Blick wird ernst, wenn er über „den schwersten Tag meines Lebens“ spricht. Aber: Ohne diese Erfahrung hätte er danach wohl weder in so vielen Küchen auf der ganzen Welt gekocht noch vor zwei Jahren Ray Wu kennengelernt, aus dessen Idee das „La Vie by Thomas Bühner“ entstand. „Der Name soll mein Commitment ausdrücken“, sagt Bühner: Aus der Ferne Rezepte schicken und, falls mal etwas schiefgeht, die Verantwortung auf das Küchenteam schieben, das sei nicht sein Stil.

Und was ist der kulinarische Stil seines neuen Restaurants mit Platz für 28 Gäste? Europäische Küche und Klassiker aus dem Osnabrücker „La Vie“ treffen auf regionale Produkte, heißt es in einer Pressemitteilung. „Klar, ‚regional‘ sagt jeder“, so Bühner, „aber warum sollte ich in Taiwan Steinbutt aus Frankreich und Brokkoli aus Italien zubereiten? Produkte werden nicht besser, wenn sie einmal um die Welt fliegen.“ Gerichte wie japanischer Kama-Toro zu weißem Spargel und Sauce Paloise sollen den taiwanischen Geschmack treffen.

In Taipeh gibt es 31 Restaurants mit einem Stern

Die Leidenschaft für Gastronomie ist groß in Taiwan. Auch, weil es – wenn man nicht gerade in ein Sternerestaurant geht – günstiger ist, auswärts zu essen, als zu Hause zu kochen. Allein in Taipeh gibt es 31 Restaurants mit einem Stern und mehr; in direkter Nachbarschaft zu Bühners „La Vie“ liegen das „Raw“ und das „Taïrroir“, beide haben je zwei Sterne. Bühner beflügelt diese Nähe: „Es gibt keine bessere Situation! Sie zeigt, dass auch gehobene Gastronomie eine Rolle im Leben der Menschen spielt.“ Auf die Frage, ob seine neuen Nachbarn das genauso sehen, entgegnet er mit westfälischer Gelassenheit: „Ist mir egal.“ Er gehe auf seine Kollegen zu: „Ich mache daraus keine Konkurrenz.“

Auch das Verhältnis zu seinem Küchenchef Xavier Yeung sei ein kollegiales. Mehr noch: „Gerade bei regionalen Zutaten weiß er vieles einfach besser als ich.“ Etwa, dass japanischer Kimedai eine Alternative für Rotbarbe sein könnte. Wo auch immer er kocht, Bühner ist lernwillig. Wenn er erzählt, wie in Indien Kokosnüsse ausgehöhlt werden und Chai gemacht wird oder wie ihm in China ein Küchenchef einen Kochkurs gab, gerät er geradezu ins Schwärmen: „Ich finde das toll, so was mal zu sehen!“

Er lässt die Mannschaft spielen

Ein Projekt wie in Taipeh funktioniere sowieso nur mit Vertrauen in das Können anderer: „Ist die Mannschaft auf dem Platz, muss ich sie spielen lassen. Beim Elfmeter geht der Trainer ja auch nicht aufs Feld und sagt: ‚Lass mich mal‘.“ Ohne dieses Vertrauen müsste er selbst in der Küche stehen – und dauerhaft nach Taipeh ziehen. Das aber stehe aktuell nicht zur Debatte, viel zu gerne komme er nach jeder Reise zurück nach Osnabrück, wo er mit seiner Frau lebt. „Sie hat viel Verständnis, wenn ich lange unterwegs bin, ist aber in der Gegend sehr verwurzelt. Und ich habe ganz und gar keine Motivation, herauszufinden, was sie un­glücklich macht.“

Glücklich sollen auch seine Gäste sein. Auf ein internationales Publikum hoffe er, überhaupt auf mehr Touristen im Land: „Wenn ich Bekannten erzähle, dass ich nach Taiwan fliege, fragen manche, was ich denn schon wieder in Thailand mache.“ Taiwan werde meist nur durch negative Nachrichten wie jene über die Spannungen mit China wahrgenommen. Die Berichterstattung sei zu einseitig. Für einen Moment ist es vorbei mit der Bühner’schen Ruhe: „Einmal hieß es im Radio, dass man hier auf den Straßen die Angst der Menschen spüre. Ich bin sonst gar nicht so mitteilsam, war aber kurz davor, da anzurufen und zu sagen: In all der Zeit habe ich diese Angst noch nie gespürt.“

Bühner fühlt sich wohl in Taipeh – hat er hier womöglich den Ausgangspunkt für weitere Dependancen gefunden? „Ich weiß noch nicht, ob und wie sich die Idee vervielfältigen lässt. Ausschließen kann ich es nicht.“ Nur eines schließt er definitiv aus: einen baldigen Ruhestand. Das liegt offenbar in der Familie, seine Mutter habe noch mit 85 gearbeitet, so Bühner: „Ich habe Lust, noch lange weiterzumachen.“

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Frankfurter Allgemeine
Beitrag vom 15.6.2023
Ort Frankfurt am Main
Verlag Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH
Mehr zum Projekt: La Vie by Thomas Bühner — Taipei, TW