LICHT GESTALTEN
Es kann Atmosphäre schaffen, Schatten werfen, Größe zaubern, für Romantik oder Unbehagen sorgen: Licht ist ein oft unterschätztes Interior-Element. Grund genug, einen echten Profi um Rat zu fragen – und sich vor Ort erleuchten zu lassen.
Unscheinbar wirkt der weiße Schriftzug an der rotbraunen Backsteinwand zwischen der großen, mit Gläsern und Cocktailzutaten gefüllten Bar und ihren zum Teil hölzernen, zum Teil verspiegelten Flächen. Dann drückt Olaf Kitzig auf einen Schalter, der Schriftzug entpuppt sich als flexible Neonkontur, erstrahlt in hellem Pink – und sorgt statt für knallig-grelles Licht für ein fast erstaunlich zartes Rosé, das den Barbereich sofort anders wirken lässt. Wärmer, behaglicher, einladender. Der eben noch strenge, gespannte Blick des Interior- Designers weicht einem zufriedenen Lächeln: Es funktioniert. Genauso, wie er es sich vor fast vier Jahren ausgedacht hat.
Schlechtes Licht kann das beste Design ruinieren
Räume – auch mit Licht – zu gestalten, das ist seit über 20 Jahren Olaf Kitzigs Leidenschaft und Profession. Mit Kitzig Design Studios gründete er 1998 eines der heute größten Unternehmen für Innenarchitektur und -design in ganz Europa, er stattet Hotels wie das Me And All, Hyatt und Marriott aus, designt für Restaurants von Sylt bis New York neben dem Interior auch gern gleich mal Logos und Mitarbeiter- Outfits mit, entwirft Flughafen-Lounges und S-Bahn-Stationen und richtet Privathäuser ein. Die Wahrscheinlichkeit, dass man schon einmal an einem von ihm gestalteten Ort war, ist also groß.
Heute hat er Büros in Lippstadt, Düsseldorf und München, ein eigener Interior- Onlineshop ist in Planung. Bei seiner Arbeit geht es um viel mehr als nur um Materialien, Stoffe, Möbel und Farben: „Licht ist als Gestaltungselement nicht zu unterschätzen“, so der 49-Jährige. Das beweist nicht nur der Effekt des rosa Neonlichts ziemlich einleuchtend. „Eine schlechte Innenarchitektur kann durch eine gute, intelligente Lichtgestaltung immerhin mittelmäßig werden. Aber eine sensationelle Innenarchitektur kann man mit schlechtem Licht richtig ruinieren.“
Wer an so großen Projekten arbeitet wie Olaf Kitzig und sein Team, muss oft Jahre im Voraus erspüren, wo und wie die Menschen sich wohlfühlen werden, wenn ein Restaurant oder Hotel eröffnet.
Mit nur einer Lichtquelle ist der Drops nicht gelutscht
So war es auch beim Me And All. In der weitläufigen Lobby mit den hohen Fenstern empfangen Lichtspiele der besonders stylishen Art die Gäste. Neon-Installationen leuchten an den Backstein-Wänden und vor Pflanzen, indirektes Licht beleuchtet die Rezeption und die Bar, Edison-Glühbirnen hängen in Pendelleuchten im Industrial-Stil, im Draht-Design und in kleinen, runden Retro-Fassungen auf unterschiedlichen Höhen.
Dass hier so viele verschiedene Leuchten, Lampen und Lichtfarben zusammenwirken, ist kein Zufall. Olaf Kitzig hält zwar ziemlich wenig von Regeln, in Sachen Beleuchtung hat er dann aber doch eine: sich niemals auf nur eine Lichtquelle verlassen. „Viele Menschen meinen, mit einer Lampe sei der Drops gelutscht. Das mag im Kühlhaus funktionieren und seinen Zweck erfüllen, aber nicht zu Hause. Denn so kann sich das Licht gar nicht verschiedenen Stimmungen und Situationen anpassen. Die Lichtfarbe aus dem Badezimmer macht das Wohnzimmer nicht gerade gemütlich“, bringt es der Designer auf den Punkt.
Was die einen noch gemütlich finden, ist für die anderen schon trutschig. Einrichtung ist Geschmackssache – genau wie Licht. Olaf Kitzig nennt das wohl aktuellste Beispiel überhaupt: das Homeoffice. „Manche Menschen werden am liebsten nur vom Monitor bestrahlt, andere stellen sich eine Schreibtischleuchte dazu, wieder andere arbeiten besonders gern in einem komplett hell beleuchteten Zimmer.“ Seine Empfehlung, nicht nur auf eine einzige Lichtquelle zu setzen, ist aber nicht nur seinem persönlichen Geschmack geschuldet: „Das Auge stellt sich auf die jeweiligen Lichtverhältnisse ein. Wenn ich nur auf den Monitor schaue, muss das Auge die ganze Zeit fokussieren. Das strengt wahnsinnig an.“ Die Beleuchtungsstärke von 500 Lux, die in der offiziellen „Arbeitsstättenverordnung“ festgelegt ist, muss es dann aber zu Hause nicht unbedingt sein.
Kühlhaus-Charme statt Wohlfühl-Atmosphäre?
Auch im Badezimmer spricht einiges dafür, mehrere Lichtquellen zu verwenden – denn nur so kann man sehen, was genau man da eigentlich vor dem Spiegel macht. Kommt das Licht nur von oben, wirft jede Wimper lange Schatten und man hat Augenringe, angesichts derer jeder Panda vor Neid erblasst. Am besten, so Olaf Kitzig, sollte das Licht von oben, hinten und vorn kommen und unabhängig voneinander steuerbar sein. Gerade kleine Räume profitieren vom Licht-Plural, weiß der passionierte Ästhet: „Damit kann man spielen, Tiefe und Schatten erzeugen, den Raum wesentlich größer erscheinen lassen.“
Beim Spiel mit Licht und Schatten hat es ihm ein Element besonders angetan, nämlich die Reflexion. Nicht nur im technischen Sinne: „Es gibt nichts Schöneres, als durchs Fenster zu blicken, wenn es draußen schneit und der Schnee gegen Lichtschein fällt. Wie das reflektiert!“ Nun lässt sich dieser Effekt natürlich nicht so einfach nach Hause holen, aber bei der Suche nach dem perfekten Platz für eine Lampe sollte immer beachtet werden, auf was für eine Fläche deren Licht strahlt: uneben oder glatt, hell oder dunkel, glänzend oder matt?
Das gilt für Wände, aber auch für die Möbel, auf die das Licht fällt. Dunkle Flächen absorbieren und lassen Licht weniger hell wirken, helle Flächen werfen es zurück in den Raum. Gerade bei weißen Wänden wirkt ein 4.200-Kelvin-Licht also extrem hell. Das lässt sich durch Farbe an den Wänden kompensieren oder durch einen innen farbigen Lampenschirm.
Kunstbeleuchtung für Kinderbilder – warum nicht?
Mit Reflexionen spielt Olaf Kitzig übrigens auch gern, indem er Lampen vor Fenstern platziert. Statt abends in ein dunkles Loch zu schauen, ergeben sich so nämlich Spiegelungen – und die fallen umso spannender aus, wenn man mehrere Lichtquellen im Raum hat.
Aber, betont der Designer, Steh- und Tischlampen können nur Highlights setzen, wenn die Deckenleuchte nicht zu hoch hängt. „Sonst überstrahlt das eine Licht das andere und nichts kann wirken.“ Apropos Wirkung: Die haben seiner Meinung nach auch Wandleuchten, die aber oft unterschätzt werden. Genau wie Kunstbeleuchtung, wie man sie aus Museen kennt. Dafür braucht es auch gar kein Meisterwerk: „Ein von Kindern gemaltes Bild kann in einem Rahmen und mit Beleuchtung eine ganz andere Aussage und Wirkung bekommen.“ Bei Wand und Kunstbeleuchtung könne man auch ruhig mutig sein und das Kabel an der Wand herunterhängen lassen, findet Olaf Kitzig: „Wer sagt denn, das Kabel immer hinter Putz verlaufen müssen?“
Und dann ist da noch seine große Liebe, das indirekte Licht. Dessen Wirkung erklärt er am Bartresen in der Lobby des Hotels. Durch LED-Streifen unterhalb der Tresenplatte wirkt der ganze Thekenblock leichter. Der Profitipp für zu Hause: den Leuchtstreifen so anbringen, dass man nicht direkt hineinblickt, dann blendet nichts, aber der Effekt ist trotzdem da. Das gilt auch für die so beliebten Deckenspots. Für sie hat Olaf Kitzig seine eigene Regel aufgestellt und bringt sie immer etwa 35 Zentimeter von der Wand entfernt an. So blenden sie nicht, spenden aber Licht und akzentuieren den Raum.
Eigener Stil statt Trends und Fast Interior
Olaf Kitzigs wichtigster Tipp in Sachen Licht: „Einfach ausprobieren! Die Lampe durch die Wohnung tragen und schauen, wo sie am besten wirkt. Das muss man lernen, ich selbst habe bei meinen allerersten Projekten auch Anfängerfehler gemacht.“ Und wie steht er, der einerseits den Geschmack der Masse Jahre im Voraus erahnt und andererseits eigene Akzente setzt, zu schnelllebigen Trends? Das Fast-Fashion- Phänomen hat schließlich längst auch den Interior-Bereich erobert. Gerade waren noch Lampengestelle aus Kupferdraht angesagt, da stehen schon Schirme aus Rattan ganz hoch im Kurs. Handarbeit schätze er sehr, so Olaf Kitzig, zumindest wenn sie unter menschenwürdigen Bedingungen hergestellt und nicht zu Schleuderpreisen verkauft wird. Aber: „Individualisierung entsteht nicht dadurch, dass ich jeden Trend mitmache. Das Erbstück, das mir vielleicht altmodisch vorkommt, kann ich mit einem anderen, modernen Lampenschirm zu einem echten Einzelstück machen.“ Sein Fazit ist unpathetisch, aber prägnant und im wahrsten Sinne des Wortes einleuchtend: „Lampen können so viel mehr sein als ein reines Leuchtmittel.“
Text Katharina Pfannkuch
Fotos Gino Giove
Maxi
Ausgabe März 2021
Ort Kiel
Verlag OCEAN.GLOBAL Gmbh & Co.KG https://www.ocean.global/media/magazine/
Mehr zum Projekt: Lindner me & all hotel — Hannover, DE