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Zu trendy kann zu gefällig sein
Villa, Sparkasse, Infoschalter:
Olaf Kitzig sitzt in der Provinz und gestaltet Räume in aller Welt.
Von Katharina Pfannkuch
Ausgerechnet Lippstadt. Wenn es um zukunftsweisendes Interieur-Design geht, ist die 70 000-inwohner-Stadt nicht unbedingt der erste Ort, der einem als Quell von Inspiration und Kreativität in den Sinn kommt. Eingeweihte nennen die Stadt wegen ihrer vielen Flüsse mit fast rührendem Stolz das „Venedig Westfalens“. Die nächste größere Stadt ist Paderborn. Dann kommt Bielefeld.
Der ICE braust meist vorbei an dem verschlafenen Bahnhof mit drei Gleisen, an dem man sich die Wartezeit auf den Regionalzug entweder in einem kleinen Zeitschriftenladen oder in der Filiale einer Fastfood-Kette vertreiben kann. Nicht weit von hier befindet sich der Unternehmenssitz von Kitzig Interior Design. Vor 20 Jahren gründete Olaf Kitzig das Unternehmen in seiner Heimatstadt, mit 30 000 Mark Startkapital und einer Angestellten. Noch heute ist sie seine persönliche Assistentin, die Büros ihrer mittlerweile 44 Kollegen und Kolleginnen in Lippstadt sind auf zwei Bürohäuser – besser gesagt: Bürovillen – verteilt. Weitere 30 Mitarbeiter arbeiten in kleineren Büros in München, Bochum, London und von Herbst an auch in Düsseldorf. Doch seine Design-Konzepte für internationale Hotelketten von Moskau bis Münster, Restaurants in Singapur, Flughafen-Lounges, Sparkassenfilialen, Infoschalter der Deutschen Bahn, Privathäuser in Frankfurt und auf Ibiza entwickelt Olaf Kitzig vor allem in Lippstadt. Metall zu dunklem Holz, ein scheinbar an der Decke schwebendes Wasserbecken, ein gläserner Fußboden: Kontraste sind Kitzigs Markenzeichen.
Auch an seinem eigenen Arbeitsplatz. Im schwarzweiß gekachelten Flur der denkmalgeschützten, restaurierten Villa von 1880 liegen bunte Teppiche, gleich neben dem Eingang hängt ein Roy Lichtenstein, die pastellfarbenen Bürowände zieren Gemälde von Amir H. Fallah, eine Madonnenfigur thront über einem Retrosessel, Stuck trifft auf Streetart. Da scheint jemand sehr verwurzelt zu sein und sich in der entschleunigten, vertrauten Umgebung einen Ort der Inspiration geschaffen zu haben. Oder? „Ich bleibe nicht hier, weil ich es so schön finde oder weil es meine Heimatstadt ist. Wenn ich könnte, würde ich nach München oder London gehen“, zerstört Kitzig ohne Umschweife diese Theorie, um sogleich zu erklären, warum er Lippstadt so treu ist: „Ich bleibe, weil ich nicht einfach 45 Mitarbeiter umsiedeln kann.“
Viele von ihnen arbeiten seit mehr als zehn Jahren bei ihm, haben vor Ort Familien gegründet und Häuser gebaut. Sie einfach gegen neue Mitarbeiter in einer anderen Stadt auszutauschen käme für ihn nicht in Frage: „Ich bin nur so gut wie mein Team. Ohne das geht’s nicht.“ Sein Gegenüber mit einer unerwarteten Antwort zu überraschen, um nach einer kurzen Pause die eigentliche Antwort noch überzeugender klingen zu lassen, das gelingt Kitzig nicht nur, wenn er über den Standort seiner Firma spricht. Auf die Frage, wie er mit allzu weit von seinem eigenen Geschmack entfernten Kundenwünschen umgehe, erwidert er zunächst kurz und knapp: „Dann gehe ich.“
Für einen Moment forscht sein neugierig und zugleich amüsiert wirkender Blick aus den eisblauen, von einem transparenten Brillengestell eingerahmten Augen nach der Wirkung seiner Worte, dann erklärt er unaufgeregt, weshalb er getrennte Wege manchmal für die besseren hält: „Mit jemandem zu arbeiten, den man gestalterisch nicht versteht, ist wie eine schlechte Beziehung. Es funktioniert nicht. Natürlich muss man sich auch mal reiben und zusammen Alternativen entwickeln können. Aber wenn die grundsätzlichen Vorstellungen nicht vereinbar sind, ist es besser, sich zu trennen.“ Wenn er auf seiner Vision eines Raumes beharre, liege das nicht nur an seinem persönlichen Stilempfinden, sondern habe oft auch technische Gründe.
„Der Begriff Interior Design kann in die Irre führen. Wir suchen ja nicht nur Kissen und Farben aus. Zu unserer Arbeit gehören auch die Elektro- und Beleuchtungsplanung, Wegeführung und die Mitkoordination der technischen Gebäudeausrüstung.“ Kitzig selbst kommt aus dem Handwerk, machte zunächst eine Ausbildung zum Maler und Lackierer. Er sei froh über das Gelernte, aber schon damals habe für ihn festgestanden, dass er den Beruf maximal bis zum Bestehen seiner Gesellenprüfung ausüben werde. Er machte noch eine Ausbildung, diesmal zum Schauwerbegestalter, bildete sich in Baustatik fort, sammelte Berufserfahrung und gründete 1998 sein Unternehmen. Da war er 27.
„Als Kind wollte ich mich selbständig machen, um später keinen Chef zu haben,“ erzählt Kitzig lachend. „Heute habe ich umso mehr, jeder Bauherr, jeder Kunde ist auch eine Art Chef für mich.“ Viele dieser Kunden beauftragen ihn mit der Gestaltung von Orten, an denen Menschen aus aller Welt aufeinandertreffen, etwa die Lobbys großer Hotels in Berlin, London und Moskau. Einfach auf Nummer Sicher und mit dem aktuellen Trend zu gehen sei jedoch keine Option: „Zwischen Planung und Fertigstellung eines Objekts liegen durchschnittlich drei Jahre. Da muss man vorausschauen, Menschen und Entwicklungen beobachten.“
Manchmal ist er mit seinen Ideen auch zu früh dran. Vor fünf Jahren erarbeitete er ein Konzept mit Grünpflanzen. Der Kunde lehnte ab, Gummibäume und Co. ließen damals viele eher an Großraumbüros und Lehrerzimmer als an visionäres Innendesign denken. Heute gilt Urban Jungle als Riesentrend. Zu trendy kann aber auch zu gefällig sein, glaubt Kitzig. Durch ungewöhnliche Kombinationen von Farben und Materialien, Formen und Lichtquellen zwingt er fast zu einem zweiten Blick auf die einzelnen Möbelstücke, Kunstwerke, Teppiche. Und plötzlich nimmt man viel bewusster wahr, was einem gefällt und was nicht.
Diesem Prinzip folgt Kitzig auch bei seiner Kleidung: Das Hemd trägt er aus Sicht eines konservativen Herrenausstatters mindestens einen Knopf zu weit offen. Umso mehr fallen klassische Details wie das Einstecktuch, die Manschettenknöpfe und das akkurat sitzende Sakko auf. Das ist übrigens eine Eigenkreation. Kleidung entwirft Kitzig nicht nur für sich selbst, sondern auch für das Personal, das in den von ihm gestalteten Objekten arbeitet. Mit den Firmen-Ablegern Kitzig Identities und Kitzig Details verfolge er einen ganzheitlichen Ansatz. Ähnlich wie Philippe Starck entwerfe und produziere er etwa Möbel und liefere bei Bedarf auch Logos oder eben Arbeitskleidung gleich mit.
Sein eigenes Zuhause sei natürlich auch von ihm designt: „Man kann ja nicht Sternekoch sein und zu Hause nur Currywurst essen.“ Gerade gestaltet er sein Wohnzimmer um. Wenn er zu seinen Projekten in aller Welt reist, vermisse er nach einigen Tagen sein Haus und dessen Atmosphäre richtig, erzählt er und klingt dabei selbst fast überrascht. Dann freue er sich richtig, zurückzukommen. Ausgerechnet nach Lippstadt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Ausgabe 26. AUGUST 2018
Ort Frankfurt
Von Katharina Pfannkuch
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